In der letzten Zeit taucht im politischen Sprachgebrauch einiger EU-Amtsträger immer wieder der Begriff „Sanktionen gegen Belarus“ auf. Das Paradoxe an ihrer Haltung ist es, dass sie diese Sanktionen als Beweis ihrer Treue gegenüber den europäischen Werten bekunden, obwohl ihr Vorschlag mit den wahren Werten nichts am Hut hat.
Die Europäische Union betont gern, dass allgemeine Werte wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtshoheit eine Grundlage für die Beziehungen zu ihren Partnerstaaten bilden. Deshalb dürfen viele Partnerstaaten von Brüssel eine Politik erwarten, die eben auf den genannten Werten beruht. Von diesem Standpunkt aus erscheint das Instrument „Sanktionen“ im politischen Waffenarsenal der Europäischen Union mehr als fraglich.
Aufgrund der Festnahme von Oppositionspolitikern, die nach Schließung der Wahllokale an Ausschreitungen im Stadtzentrum teilgenommen haben, versuchen mehrere EU-Politiker, der belarussischen Seite ein Ultimatum zu stellen: Entweder Sie lassen alle Gefangenen frei und beenden die Untersuchungen, oder wir werden gezwungen sein, gegen Sie Sanktionen zu verhängen. Die Strafmaßnahmenpalette reicht vom Einreiseverbot in die EU für eine Reihe von Personen bis hin zur Aufhebung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Europa und Belarus – die Bildungskraft der Initiatoren dieser Sanktionen wird auf einige wenige Maßnahmen beschränkt. Parlamentspräsident Jerzy Buzek hat mit seinem Vorschlag, Belarus von den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften fern zu halten (was die Olympische Charta verbietet), sich selbst übertroffen. Was bleibt, ist eine kleine Frage: Wie kann man das alles mit europäischen Werten in Zusammenhang bringen?
Die Ereignisse am 19. Dezember in Minsk wurden von den größten Weltmedien übertragen. Alle haben das gesehen: unerlaubte Kundgebung, tausende Menschen auf der Hauptverkehrsstraße der Hauptstadt, Erklärung der „Regierung der nationalen Rettung“, Versuch der Besetzung des Regierungssitzes, begleitet durch Tür- und Fenstereinschlagen. Aufrufe der Polizei zur Ordnung und Gehorsamkeit wurden ignoriert. Einige Teilnehmer der Massenaktionen wurden von Sicherheitskräften festgenommen, gegen mutmaßliche Organisatoren der Krawalle sind Strafverfahren eingeleitet worden. Steht das etwa im Widerspruch zum von Europa beliebten Prinzip der Rechtshoheit?
Entspricht etwa dem Prinzip der Rechtshoheit die europäische Forderung nach Freilassung der Tatverdächtigen ohne Gerichtsverhandlung? Seitens belarussischer Mächte wäre das doch eine rein politische Entscheidung und keine rechtliche. Der Ex-Polizeipräsident Franz Masser, der als Wahlbeobachter nach Belarus eingeladen wurde, sagte: „Unerlaubte Massenaktion der Opposition in Minsk ist keine friedliche Demonstration, sondern verbrecherische Handlung. Das, was ich im Fernesehen beobachten konnte – eingeschlagene Glastüren, Angriffe auf Polizei – kann eindeutig als Verbrechen bewertet werden. Ich hoffe, meine Kollegen werden die Sache objektiv ermitteln und die Schuldigen nach Gesetz bestrafen.“
Nun zur rechtlichen Seite der möglichen EU-Sanktionen gegen Belarus. Am meisten wird auf Einreiseverbot in die EU für hohe Beamten bestanden. Auf der „schwarzen Liste“ sollen neben Führungspersonen und Mitgliedern der Zentralen Wahlkommission auch Journalisten öffentlicher Medien und Mitarbeiter der Spezialeinheiten stehen. Nach Medienberichten soll einer der belarussischen Oppositionsführer, Alexander Milinkewitsch, eine bereits zusammengestellte „schwarze Liste“ in Brüssel präsentiert haben. Es geht also um die Einschränkung der Reisefreiheit, jenes fundamentalen Rechts, das in verschiedenen internationalen Abkommen verankert wurde. Auf welcher Rechtsgrundlage denn? - Auf Grundlage irgendwelcher Listen, die von der belarussischen Opposition zusammengestellt wurden. Weswegen denn? – Wegen angeblicher Wahlfälschungen und Rechtsverletzung der Teilnehmer der Krawallen. Rhetorische Frage: Welches verfügungsberechtigte Organ hat heute Wahlbetrug oder Menschenrechtsverletzung gegenüber Unruhestifter rechtlich bestätigt? Keines. Also wird die Visumsperre für belarussische Amtsträger eine rein politische Entscheidung sein, die nicht auf rechtlichem Wege getroffen wurde und eines der fundamentalen Rechte vieler belarussischer Bürger verletzt.
Und der Versuch, die Journalisten staatlicher Medien in diese Liste aufzunehmen, was soll das sein? Eine Strafe für ihre Veröffentlichungen während der Wahlkampagne? Stimmt das mit der Vorstellung der EU über die Presse- und Meinungsfreiheit überein? Oder erkennt die Europäische Union dieses Recht nur den europäischen und den belarussischen oppositionellen Medien zu? Apropos, wenn es einmal um die journalistischen Standards geht, kann vielleicht jemand erklären, warum führende Massenmedien der EU in ihren Berichten über die Vorgänge nach der Wahl in Minsk das Prinzip der Unbefangenheit gegenüber den Konfliktparteien übersehen, welches sie des Öfteren den belarussischen staatlichen Medien vorwerfen? Hat jemand überhaupt in der letzten Zeit einen Artikel gelesen, wo alle Versionen von beiden Seiten dargestellt wurden und wo das offizielle Minsk ohne Änderungen zitiert wurde? Nein! Die Standards der journalistischen Ethik sind ausschließlich Exportgut, geschaffen extra für nicht zivilisierte Belarussen und ihresgleichen.
EU-Politiker drohen heutzutage auch einigen russischen Amtsträgern mit Sanktionen – dabei geht es um den Tod von Anwalt Magnitski und Chodorkowski-Urteil. Auch Kiew wird mit Sanktionen angedroht, und zwar wegen Prozesse gegen Julia Timoschenko und ihre politischen Verbündeten. Des Rätsels Lösung ist ganz einfach: Alle Akteure haben eine starke Lobby in der EU, die bereit ist, politische und nicht rechtliche Hebel zu ziehen, um ihre Schützlinge in Obhut zu nehmen. Dafür gibt es aber den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der juristische Fehler auf der nationalen Ebene in derartigen Fällen berichtigen kann.
Letzten Endes ermöglicht es die Gesetzgebung solcher europäischer Länder wie Belgien und Spanien, Prozesse wegen Menschenrechtsverletzung in allen Ecken der Welt anzustrengen. Nämlich in Spanien wurde die Anordnung zur Verhaftung des Generals Pinochet erlassen. Wenn es wirklich Beweise gibt, dass belarussische Staatsvertreter daran schuldig sind, was über sie seit 15 Jahren in den Medien behauptet wird, warum ist bisher keine Klage bei europäischen Gerichten eingereicht worden? Weil es in Wirklichkeit keine Beweise gibt. Es gibt nur unbegründete Bezichtigungen als Teil eines großen politischen Spiels. Dann sollte man lieber nicht von europäischen Werten reden, denn sie haben damit nichts zu tun.
Viele EU-Politiker verstehen es, was ihnen Ehre macht. Financial Times Deutschland schrieb, die EU-Länder können sich bei der Frage um Sanktionen gegen Belarus nicht einigen. „Viele EU-Staaten warten auf die Meinung der Rechtsexperten, bevor sie den Sanktionen zustimmen“, hieß es. „Es gibt keine Chance, dass die Seiten innerhalb der EU vor dem Treffen der EU-Außenminister am 31. Januar übereinkommen.“
Also wird die Entscheidung über die Sanktionen gegen Belarus ein Lackmustest für die EU-Politik sein: Es wird sich zeigen, ob die EU in ihrer Politik konsequent und den europäischen Werten tatsächlich treu ist.
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